La Palma: Die Perle der Natur

Mit seinen spektakulären Landschaften lässt die Kanareninsel La Palma das Herz von Aktivurlaubern höherschlagen.

Was? Das ist die „Grüne Insel“?, frage ich mich beim Landeanflug über dem Atlantik. Die Küstenlandschaft, die sich mir beim Blick durch das Flugzeugfenster bietet, wirkt rau und ungestüm: das fast schwarze, zerklüftete Gestein, die steil abfallende Klippen, die wild aufschäumende Gischt, das kühle Türkis des Wassers, der graue Himmel. Zum Glück ist das aber nur eines von Dutzenden Gesichtern von La Palma, wie ich in den nächsten Tagen erfahren werde. Denn Zeit und Wetter, das spanische „tiempo“, sind auf dem nordwestlichsten Eiland der Kanaren eher relativ.

Schützenswertes Paradies

Wie wechselhaft La Palma ist, zeigt sich schon bei der ersten Autofahrt von der Ost- auf die Westseite. „Gleich erreichen wir die Pforte zur anderen Dimension“, scherzt Guide Marcos Lozano, als wir uns dem Verkehrstunnel durch die Cumbre-Gebirgskette nähern. Was er damit meint, ist schnell klar. Vor der Durchfahrt ziehen dicke Nebelschwaden durch die Luft, es regnet. Nur rund eineinhalb Minuten später, auf der anderen Seite angekommen, herrscht strahlender Sonnenschein. „Irgendwo ist immer das passende Wetter. Das liegt daran, dass das Cumbre-Gebirge die Insel im Zusammenspiel mit den Passatwinden in unterschiedliche Klimazonen teilt“, erklärt Marcos.

Wir haben hier 1.000 Kilometer gut beschilderte Wanderwege durch alle Vegetationszonen – von kurz bis lang, von leicht bis schwer, von flach bis steil.

Marcos Lozano, Guide

Ein Phänomen, das La Palma zur Perle der Kanaren macht. Kaum ein anderes Land vereint auf einem kleinen Fleckchen Erde so viele verschiedene Landschaften: riesige Vulkankrater, Höhlen und Lavafelder, sattgrüne Urwälder mit Wasserfällen, lichte Kiefernhaine, Weinberge, gewaltige Schluchten, alpine Höhensteppen, schroffe Küsten, schwarze Sandstrände. Da wundert es kaum, dass die UNESCO die gesamte Insel im Jahr 2002 zum Weltbiosphärenreservat erklärt hat. Trotzdem ist die „Isla Bonita“, wie sie von den Einheimischen liebevoll genannt wird, bisher ein Geheimtipp unter Naturliebhabern geblieben. Das könnte unter anderem mit der Namensähnlichkeit zu Palma de Mallorca oder Las Palmas in Gran Canaria zu tun haben.

Die Aktivurlauber, die vor allem zum Wandern kommen, stört die geringe Bekanntheit der Insel kaum. Immerhin sorgt sie dafür, dass viele Strecken selbst in der Hauptsaison von November bis Ende April weitgehend ungestört genossen werden können. „Wir haben hier 1.000 Kilometer gut beschilderte Wanderwege durch alle Vegetationszonen – von kurz bis lang, von leicht bis schwer, von flach bis steil. Du hast nur fünf Tage Zeit, also werden wir uns auf die Highlights konzentrieren, die wirklich niemand verpassen sollte“, schlägt mir Marcos vor.

Vom höchsten Punkt ins All

Der buchstäbliche Höhepunkt befindet sich im Herzen der Insel, 2.426 Meter über dem Meeresspiegel, und heißt Roque de los Muchachos. Bereits die serpentinenreiche Anfahrt ist ein Erlebnis. Sie führt innerhalb kürzester Zeit von subtropischem in gebirgiges Terrain. Auf dem Weg hinauf bleiben wir mehrmals stehen. „Siehst du den Feuerschnabel?“, fragt Marcos und zeigt auf einen eingezäunten, rot blühenden Strauch am Straßenrand. „Er ist sehr selten und wächst nur auf La Palma.“ Ein Satz, den ich noch häufig hören werde. Einzigartigkeit ist auf der Insel nämlich gar nichts Besonderes. So wurden bisher rund 70 endemische Pflanzenarten entdeckt, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt.

Auf dem Gipfel angekommen, erwartet uns ein atemberaubender Ausblick auf die Landschaft des Nationalparks Caldera de Taburiente – einen gigan- tischen, 2.000 Meter tiefen Vulkankessel mit dichten Wäldern und bizarren Felsformationen. Der Krater hat einen Durchmesser von acht und einen Umfang von 28 Kilometern. Damit ist er einer der größten auf unserem Planeten.

Hier stehen 18 internationale Sternwarten, wobei zwei gerade erst gebaut werden.

Marcos Lozano, Guide

Apropos Planet: Auch Wissenschafter nutzen die fabelhafte Aussicht vom Roque de los Muchachos – sie schauen allerdings in eine andere Richtung. An den Hängen des Berges, zwischen gelb blühendem Ginster und lilafarbenen Natternköpfen, reihen sich überdimensionale Spiegel und weiße Kuppeln aneinander. „Hier stehen 18 internationale Sternwarten, wobei zwei gerade erst gebaut werden“, klärt mich Marcos auf, als er meinen verblüfften Gesichtsausdruck bemerkt.

Das „Starlight Reserve“ auf La Palma ist eines der wichtigsten weltweit, weil es mit außergewöhnlich klarer Sicht punktet. Das ist einerseits den 1988 erlassenen Himmelsgesetzen zu verdanken, die Lichtsmog verhindern. Andererseits gibt es auf der Insel kaum Industrie – Hauptwirtschaftszweig ist der Bana- nenanbau an den Küsten –, wodurch auch die Luftverschmutzung sehr gering ist.

Tipp: Bei speziellen Nachtführungen auf dem Roque de los Muchachos erklären Experten Sternenbilder und ­-kon­stellationen per Laser­pointer, Teleskop und Fernrohr. Wem das noch nicht reicht, kann das ORM­ Observatorium besichtigen oder die vielen astronomischen Aussichtspunkte rings um die Insel erkunden.
Infos dazu gibt’s unter astrolapalma.com/de

Wandern mit Geschichte

Die unzähligen Routen durch die Caldera de Taburiente führen über Bergkämme, durch tiefe Schluchten und Kiefernwälder mit Bächen bis hin zu unterirdischen Quellen und Wasserfällen wie dem bunten Cascada de los Colores.

Aber auch tief gelegene Vegetationszonen außerhalb des Nationalparks sind ein absolutes Muss für Naturliebhaber: Empfehlenswert sind zum Beispiel die subtropischen Lorbeerwälder Cubo de la Galga und Los Tilos im Nordosten oder die marsähnliche Landschaft rund um die Vulkane San Antonio und Teneguía im Süden. Wer lieber in die Pedale tritt als zu gehen, hat auf La Palma ebenfalls die Qual der Wahl: Es stehen sieben spezielle Mountainbike-Strecken zur Verfügung, zusätzlich gibt es ein breites Netz ungeteerter Waldstraßen.

Wir wissen leider nicht viel über die Benahoaritas. Aber es wird vermutet, dass sie aus Nordafrika kamen und sich um 400 vor Christus hier angesiedelt haben.

Marcos Lozano, Guide

Unabhängig davon, wie das Gelände erkundet wird: Immer wieder stößt man auf Höhlen und Steinzeichnungen der Ureinwohner namens Benahoaritas. Ihre Kultur wurde fast vollständig zerstört, als die Spanier unter Alonso Fernandez de Lugo die Insel im Jahr 1493 eroberten. „Wir wissen leider nicht viel über sie. Aber es wird vermutet, dass sie aus Nordafrika kamen und sich um 400 vor Christus hier angesiedelt haben“, erzählt Marcos. Zumindest ihr kulinarisches Erbe lebt bis heute fort – mit der kanarischen Nationalspeise Gofio, die auf Basis von geröstetem Getreide zubereitet wird.

Zu den bekanntesten Benahoaritas-Fundstätten zählen die archäologischen Parks La Zarza (Norden) und Belmaco (Osten) sowie die Lava-Wohnhöhlen in der Nähe von Las Tricias (Nordwesten). Wer noch mehr über das indigene Volk und über die Entstehungsgeschichte von La Palma erfahren möchte, ist im Museo Arqueológico Benahoarita in Los Llanos an der richtigen Adresse.

Stadtleben und Kultur

Die vielseitige Natur ist zweifellos der häufigste Grund, warum sich Reisende für La Palma entscheiden. Spätestens bei Schlechtwetter fällt aber auf, dass es auf der Insel noch weit mehr zu entdecken gibt. Zum Beispiel die Hauptstadt Santa Cruz mit ihrem Hafen, dem denkmalgeschützten Altstadtkern, den bunt bepflanzten Holzbalkonen, den Kirchen, dem Insel- und dem Schiffsmuseum sowie der Markthalle, in der frischer Zuckerrohrsaft und Spezialitäten wie Ziegenkäse oder Mojo-Saucen hoch im Kurs stehen. Oder El Paso mit seiner Seidenwerkstatt, in der die traditionelle Herstellung von der Raupenzucht bis zum fertigen Produkt verfolgt werden kann.

Ebenfalls einen Besuch wert: der Weinkeller Llanovid sowie die Leuchttürme und Salinen in Fuencaliente, der begehbare Vulkantunnel unterhalb von Las Manchas – er entstand durch den Ausbruch des Vulkans San Juan im Jahr 1949 –, die Rumfabrik in San Andrés und die Bio-Bananenplantage Ecofinca Platanológico in Puerto Naos. Sie erinnert an eine Mischung aus Streichelzoo, Palmen- und Schmetterlingshaus. So kann es bei einem einwöchigen La-Palma-Aufenthalt passieren, dass man komplett darauf vergisst, sich entspannt die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen …

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